Energiewende 2.0

Wir erlebten einen spannenden und ganz und gar nicht langweiligen Abend des 17. April 2024 mit Sebastian Jurczyk. Er hat im September 2019 als Vorsitzender der Geschäftsführung der Stadtwerke Münster, zugleich als Geschäftsführer Energie Verantwortung für die Energie- und Wärmeplanung in unserer Stadt übernommen.

Früher seien Fragen der Energiewirtschaft für viele eher uninteressant gewesen, so Jurczyck zu Beginn seines lebendigen, frei gehaltenen Power Point Vortrages. Da gerade der Energieblock die klimatischen Bedingungen am meisten beeinflusse, ist es nun das, das, das Top Thema, so Jurzcyk wörtlich. Das Ziel, klimafreundlich zu heizen, stehe jetzt im Vordergrund.

Der Stadtwerke Chef nennt die Vorgaben, welchen auch sein Unternehmen zu folgen hat: Das zusammen mit dem Wärmeplanungsgesetz (WPG) am 01.01.2024 in Kraft getretene Gebäudeenergiegesetz (GEG) mit dem Ziel des Ausstiegs aus den fossilen Energiequellen bis 2045. Hinzu komme, dass die Stadt Münster unter dem Motto „Unser Klima 2030“ sehr ambitioniert Klimaneutralität bis 2030 anstrebe. Das WPG und das GEG müssten „zusammen gedacht“ werden. Erst mit der Vorlage einer Wärmeplanung gälten auch die Regeln des GEG, das den Ausstieg aus der fossilen Heiztechnik bis 2045 verlange. Den Städten und Gemeinden werde mit dem WPG erstmals eine lokale Wärmeplanung auferlegt, die in Großstädten wie Münster bis Juni 2026 vorliegen müsse. Erst danach würden die strengen Regeln des GEG gelten. Haus- und Wohnungsbesitzer von Bestandsgebäuden könnten sich bis dahin noch „frei“ für die Reparatur oder den Ersatz einer Öl– bzw. Gasheizung entscheiden.

Der Umstieg auf Erneuerbare sei technologieoffen: Neben anderen sind es der Anschluss an ein Wärmenetz, die elektrische Wärmepumpe, Stromdirektheizung sowie Biomasseheizung, wobei die erneuerbare Fernwärme und die Wärmepumpen als Hauptwärmeträger der Zukunft anzusehen seien. Wärmepumpen eigneten sich vor allem in Einfamilienhäusern und in Gebieten mit großer Entfernung zum Fernwärme-Primärnetz. Die Fernwärme habe sich bereits in Mehrfamilienhäusern und in dicht besiedelten Innenstadtgebieten bewährt. Keine Gedanken brauchten sich zunächst die zu machen, deren Wohnungen oder Häuser an das hiesige Fernwärmenetz angeschlossen sind. Jurczyck: Sie können sich also beruhigt zurücklehnen.

Mit unserem Gas- und Dampfturbinenkraftwerk am Hafen in Münster erzeugen wir aktuell jährlich ca. 600 GWh Wärme und ca. 400 GWh Strom. Wir haben nun die Aufgabe, es „grün“ zu machen. In Münster kommen als klimaneutrale Quellen die oberflächennahe (bis 400 m) Erdwärme und später sogar die Tiefengeothermie in Betracht, weil kreidezeitliche Karbonatgesteine unter Münster vorhanden seien und wir hier auch nicht, wie in Staufen, in einer seismisch aktiven Region leben. Hinzu komme die Abwärme aus dem Kanal, Solarthermie und Abwärme aus Abwasser.

All das bis 2045 zu erreichen, sei eine Mammutaufgabe. Jurczyk kann berichten, dass erste Schritte bereits gemacht worden sind: Mit der ersten Großwärmepumpe am Hafen erzeugen wir erneuerbare Wärme für ca. 800 Haushalte aus Abwärme. Eine zweite Wärmepumpe, die Wasser aus dem Dortmund- Ems-Kanal zur Wärmegewinnung nutzt, wird im Winter 2024 ihre Arbeit aufnehmen (2 MWth). Mit Fernwärme könne aber nur ein Teil der Bevölkerung unserer Stadt versorgt werden, so Jurczyk weiter. Schon über den Kanal hinaus könnten keine Leitungen verlegt werden. Allerdings biete die elektrisch angetriebene Wärmepumpe nicht die Lösung aller Probleme, wie Habeck anscheinend meine. Schon heute habe das Stromnetz in Münster die Grenze der Belastbarkeit erreicht.

Die Einspeiseleistung in Münster habe sich schon in den letzten 10 Jahren verdoppelt. Nun aber sei bis zu den 2030/40er Jahren eine Verfünffachung zu erwarten. Durch den Zubau von Verbrauchern wie Wärmepumpen, E-Autos oder die Elektrifizierung von Unternehmen könne von einer Verdopplung der Gesamtlast bis 2045 ausgegangen werden. Dass der Bedarf allein aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden könne, sei eine Illusion. Jeder wisse, dass die Sonne nicht immerzu scheint und der Wind nicht durchgehend bläst. Daher müssten auch weiterhin Kraftwerke (Molekülkraftwerke) zur Verfügung stehen mit der Konsequenz, dass das Erdgas als Brückentechnologie zumindest bis 2030 gebraucht werde. Strom aus erneuerbarer Energie sei eben nicht zu jeder Tageszeit verfügbar.

Der All-electric Ansatz zur Umsetzung der Energiewende sei aus Sicht der Stadtwerke ein Irrweg. All-electric würde bedeu- ten, dass das Stromnetz für die dunkelste und kälteste Stunde im Winter ausgelegt sein müsste. Dem Verbraucher müssten auch Anreize zum Sparen offeriert werden. Strom könne zu günstigeren Zeiten (bspw. nachts) verbraucht werden. Gedacht werde an einen dynamischen Tarif und intelligente Messsysteme. Nach und nach würden entsprechende Zähler installiert. Der Stadtwerke-Chef verdeutlicht: Energiewende bedeutet zugleich Infrastrukturwende. Sein Unternehmen müsse bis 2033 Stand heute 275 Mio. Euro in die Stromnetze investieren. Insgesamt betrage das Investitionsvolumen bis 2028 knapp 930 Mio. und bis 2033 knapp 1500 Mio. Euro, mithin eine Verdoppelung der Bilanzsumme innerhalb von 10 Jahren. Trotz der einigermaßen günstigen Eigenkapitalquote müssten zur Stabilisierung neue Finanzierungsformen, bspw. die Beteiligung von Investoren in einigen Bereichen, gefunden werden.

Für die gewaltigen Aufgaben im Tiefbaubereich habe man sich bereits mit einem Anteil von 20% an einem Tiefbauunternehmen beteiligt. Jurczyk schließt ab mit einem ausdrücklichen Bekenntnis zur Notwendigkeit der Energiewende, einem Appell zum Optimismus, der aber mit einer Prise Skepsis gewürzt wird: Bis Ende 2025 können wir alle zunächst entspannt bleiben. Zehn „super spannende“ Jahre werden aber vor uns liegen. Wir werden das Erdgas als Brückentechnologie zum Betreiben der Molekülkraftwerke weiter brauchen, denn Wasserstoff wird erst zwischen 2030–2045 verfügbar sein.

Die mit guter Akustik versorgten Civilstinnen und Civilisten haben gebannt zugehört, begeistert applaudiert und den Referenten mit Fragen „gelöchert“, die zeigen, dass gut vermittelt wurde, was die Energiewende für unsere Stadt bedeutet. Herzlichen Dank, Sebastian Jurczyk, für einen ehrlichen und nachdenklich machenden Vortrag! Die Stadt Münster hat eine riesige Aufgabe in Hände gelegt, denen wir vertrauen können. ECKARD ANDERSSON