Munch. Vibrierende Erde

Vielleicht hätte diese Übersetzung des Titels Munch. Trembling Earth der zuvor in Williamstown, USA, geeigten Ausstellung noch treffender zur nachfolgenden Präsentation im Barberini, Potsdam gepasst. Eine Überlegung, die sich unter dem Eindruck der vom Kunsthistoriker Lutz Stöppler geführten Online Live Tour durch die Ausstellung Munch.Lebenslandschaft am 27. März 2024 aufdrängt.

„Mit dem norwegischen Maler Edvard Munch (1863–1944) verbinden wir Darstellungen von Tod, Krankheit und Verlust. Und das mit einer Dosis Philosophie“, beginnt Lutz Stöppler seine spannende und eindrucksvolle Führung durch verschiedene Abteilungen dieser Ausstellung, die am 1. April in Potsdam nach dem Besuch von 184.600 Gästen geschlossen wurde und danach im Munchmuseet in Oslo (MUNCH) gezeigt wird. Auch bei der Darstellung von Landschaften, Wäldern und Meeren belasse Munch es nicht beim bloßen Porträtieren und Abmalen. Er drücke seine Empfindungen auch hier vielfältig in Farbgebung und Komposition des Bildes aus. Stöppler fasst es zusammen: „Munch will nur das in seinen Kunstwerken darstellen, was aus ihm, dem Künstler selbst, kommt. Er malt das, was in ihm ist“.

In seinen Landschaftsbildern erkenne man den Einfluss durch die Philosophie des Monismus nach Ernst Haeckel. Der Monismus ging davon aus, dass alles Existierende – Organisches und Anorganisches – eine Einheit bilde. Bei Munch lassen besonders die Szenen aus der Landwirtschaft die Symbolik von Werden, Blühen und Vergehen erkennen. Als Post-Impressionist knüpft Munch an die Malweise seines Vorbildes Paul Gauguin an. Wie dieser bevorzugt er kräftige, mit pastosen Pinselstrichen aufgetragene, Farben. Deren Auswahl ist willkürlich und stimmt mit den Farben des abgemalten Objekts nicht überein.

Dabei hat Gelb als „Farbe des Lebens“ bei Munch eine besondere Bedeutung. Aus der Froschperspektive sehen wir einen gelben Baumstamm im Schnee liegend im 129,5 x 158,5 cm großen Gemälde (Kurier März 2024, S.5): Ein Zeichen des Lebens auch bei dem gefällten Baum in der Winterlandschaft. Als weiteres Beispiel zeigt Stöppler uns das um 1904 entstandene Ölbild „Thüringer Wald“ (45 x 33,9 cm). Das Erdreich ist – wie eine offene Wunde – in rosa-rötliche Farbe getaucht. Das Herzblut des Künstlers ergieße sich über die Landschaft, so Stöppler Das 1899/1900 gemalte Bild „Fruchtbarkeit“ (Privatsammlung) ist nach Munchs unglücklicher Beziehung zu Tulla Larsen entstanden.

Als Zeichen der Zuversicht sehen wir eine Gemüsefeld, den mit Obst beladenen Baum, einen mit Kirschen gefüllten Korb, den die schwangere Frau trägt: Die Schwangerschaft als besonderes Zeichen der Fruchtbarkeit. Als Gegensatz hierzu zeigen das verschattete Auge der schwangeren Frau, die gebeugte Haltung des Mannes und schließlich in gelber Farbe die Stelle des abgesägten Astes, der keine Früchte mehr tragen wird, wie zerrissen der Maler ist. Seine Beziehung zu Tulla Larsen ist gescheitert. Vom Sommer 1907 bis zum Herbst 1908 lebte und malte Munsch in Warnemünde. Er hatte dort ein Fischerhaus, das Haus Am Strom 53, gemietet.

Warnemünde hatte sich zu einem beliebten Kur- und Badeort entwickelt und Munch liebte das Leben und Arbeiten am Meer. Für ihn waren die Zeit an der Ostsee wie das Leben in Asgardstrand (Titelbild Kurier März 2024) eine sehr produktive und wichtige Phase. Nach der Jahrhundertwende ent- wickelte sich ein besonderes Interesse an Körperkultur („Lebensreform“). Zu dieser Zeit begann auch Munch sich intensiv der Darstellung des männlichen Körpers zu widmen. Vor dem Familienbad in Warnemünde war, getrennt durch einen hohen Bretterzaun, ein Strandbereich für das Sonnenbaden ohne Bekleidung eingerichtet worden. Munch stellte dort seine Leinwände auf und malte, selbst unbekleidet, nackte Männer. Im Gegensatz zu anderen Bildern zeigt das Gemälde „Badende Männer“ (1907–1908) (206 x 227 cm) eine optimistische Grundstimmung.

Nach Meinung unseres Kunstführers Lutz Stöppler ist es das positivste Bild in der Ausstellung, wobei ihn der gute Blick für die Bewegung der Männer besonders beeindrucke. In seinen zahlreichen Selbstbildnissen gibt Munch diese Zuversicht weniger zu erkennen. Munch hatte sich oft selbst porträtiert, um damit seine jeweiligen Stimmungslagen zu dokumentieren. Er erarbeitete diese Bilder nach mit einem Selbstauslöser gemachten Fotografien. Während das 1926 an der Hauswand in Ekely gemalte Selbstbildnis (Kurier März, S. 5) allenfalls durch den leicht skeptischen Blick des Malers auffällt, dokumentiert das 1940 angefertigte „Selbstbildnis am Fenster“ (84,5 x 108,5 cm; Munchmuseet Oslo) Traurigkeit, Angst vor dem Sterben.

Stöppler macht darauf aufmerksam, dass sich Munch damals in einer besonders dramatischen Lebenssituation befand. Am 9. April 1940 besetzten deutsche Trup- pen Norwegen. Munch erlebte den Propellerlärm von 87 deutschen Transportflugzeugen JU 52, die auf dem Ekely nahen Flughafen Fornebu landeten, hautnah mit. Da er unter der Herrschaft der Nazis als „entarteter Künstler“ galt, waren über 82 Gemälde und eine noch größere An- zahl grafischer Werke von ihm in Deutschland beschlagnahmt und zum Teil im Ausland versteigert worden. Nun befürchtete er, die Nazis würden nun auch in Norwegen sein gesamtes Werk konfiszieren oder gar zerstören.

Dieses Schicksal blieb im erspart. Zehn Tage nach dem Einmarsch der deutschen Truppen vermachte er schnell alle seine ihm verbliebenen Werke der Stadt Oslo. Dies war der Grundstein für das 1963 zum hundertsten Geburtstag errichtete Munchmuseet im Stadtteil Tyen. 2021 wurde das neue Museum im Stadtzentrum am inneren Oslofjord neben dem Opernhaus von König Harald eingeweiht. Auf dem architektonisch beeindruckenden Bauwerk prangt der Name MUNCH. ECKARD ANDERSSON