So nicht! Klartext zur Lage der Nation

So nicht!“ ruft Sigmund Gottlieb, der Gast des Abends am 27. Juni 2023, den ca. 70 anwesenden CC Mitgliedern in seiner Lesung zum Klartext zur Lage der Nation zu. In seiner Anmoderation, bei der er zugibt, zum ersten Mal im schönen Münster Gast zu sein, bedankt er sich herzlich bei unserer Clubfreundin Dr. Renate Düttmann- Braun für den Kontakt zum Civilclub. Eingangs betont Gottlieb, dass sein in zweiter Auflage geschriebenes Buch ausschließlich ein Werk der ‚Diagnose` – also der Feststellung des aktuellen Zustandes – sei. Vorschläge zu geeigneten Gegenmaßnahmen aus seinem Mund empfände er als anmaßend.

Danach startet er mit klaren Worten seine Lesung aus seinem Buch zum, seiner Meinung nach, latenten Zerfall der noch starken Nation Deutschland. Von Anfang an wechseln sich Bonmots zu Deutschland und seinen politischen Machern mit zugespitzten Fakten ab, und so bleibt es während der ganzen, gut einstündigen Lesung. Der langjährige Chefredakteur des Bayrischen Rundfunks und heutige Honorarprofessor für Journalismus machte während der Lesung aus seinem Herzen keine Mördergrube. Er fand Worte zu den aktuellen politischen Akteuren und deren Neigung, sich Problemen zu lange nicht zu anzunehmen, sparte sich aber fairerweise persönliche Angriffe und Diffamierungen.

Sein gut 350 Seiten starkes Buch ist klar gegliedert und zeigt in offenen Worten, woran es aktuell in unserer Nation hapert und wo es noch – so Sigmund Gottlieb – gut läuft. In den vier Kapiteln mit den Überschriften: Verirrter Geist, Vernachlässigtes Land, Bedrohte Demokratie und Unterschätzte Freiheit, aus denen er auszugweise vorliest, geißelt er intensiv den Wandel von Politik und Gesellschaft und den voranschreitenden Zerfall von Moral und Ausdrucksweise in Politik und Medien. Das politische Handeln sei heute gezeichnet, so Gottlieb, von Phrasen und Meinungen und nicht von Wissen und Fakten, ebenso hätten sich auch die Medien zunehmend von der Wissensvermittlung und inhaltlichen Kommentierung zur Meinungsmaschine entwickelt. Besonders widmete er sich den sprachlichen Verwirrungen und dem Gendern, das aktuell in den Medien vorherrsche. Er sah geradezu einen Aufstieg von Moralisten in der politischen Kommentierung, die zu gerne Anhängern von Gegenpositionen in ihrer Meinung verbieten, ja geradezu niederbrüllen möchten.

Hier zitierte Gottlieb George Orwell, der gesagt habe: Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen. Etwas verwunderte den Zuhörer die harsche Kritik des Autors an seinen Journalistenkollegen im eigenen Berufsstand, denen er aktuell oft einen Meinungsjournalismus unterstellte und keine objektive, sachzentrierte Berichterstattung – so es eine solche wirklich gibt. Auch ging Gottlieb hart mit den aktuellen Politikern und Politikerinnen ins Gericht, denen er mangelnde Berufs- und Lebenserfahrung vorwarf. Eine wesentliche Ursache sei die fehlende Durchlässig- und Abhängigkeit in der Politik. Es werde, seiner Meinung nach, über die Köpfe der Bürger hinweg regiert und zu wenig auf die wirklich Bedürftigen geachtet. Das mag stimmen, nur echte Lösungen hatte er hierfür nicht parat.

Seine breit gefächerte Kritik an dem Ist-Zustand von Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Medien der letzten Dekade war ebenso faktenreich wie umfassend – nur fehlten einigen Zuhörern nach der scharfen Diagnose über die sich seiner Meinung nach in Zerfall befindenden Nation Fakten zur Therapie. um die Zuhörer oder Leser nicht völlig in Agonie und Depression verfallen zu lassen. Hierfür, so meinte Sigmund Gottlieb eingangs allerdings, seien andere Entscheidungsträger bzw. -eliten zuständig, was bei einigen Zuhörern für eine gewisse Ratlosigkeit sorgte. Die lebhafte und scharfzüngige Lesung und der rhetorisch gekonnte Vortrag sorgten für lang anhaltenden begeisterten Beifall aus dem Auditorium. Die sich an- schließende Diskussion war im Anbetracht der vielen komplexen Themen kontrovers und lebhaft.

Eine wirklich gute Idee war es, die Buchhändlerin Hildegard Vogel von der Mecklenbecker Buchhandlung „Lesezeit“ einzuladen, die im Vorraum das Buch von Sigmund Gottlieb zum Verkauf anbot. Zahlreiche CC- Mitglieder machten davon Gebrauch, um das vorher Gehörte an Hand des Buches vertiefen zu können. Der Autor hat später zahlreiche der frisch gekauften Bücher signiert. Frau Vogel hat noch weitere Exemplare in ihrer gut sortierten Buchhandlung vorrätig. Ein gelungener Abend, der bei den Zuhörern noch lange nachwirken wird. MATTHIAS PAPE