Ukraine-Krieg und die Kirchen

Präsident Johannes Krause-Isermann eröffnete die Abendveranstaltung mit einem herzlichen Dank an Prof. Dr. Rudolf Ullrich für seine langjährige und konstruktive Arbeit im Vorstand des Civilclubs, wo er nicht nur als Beisitzer, sondern zeitweise auch als Vizepräsident dem Club zur Verfügung gestanden habe. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat Kreml-Chef Wladimir Putin die europäische Friedensordnung zerstört. Der Krieg mit seinen Folgen beschäftigt seitdem weltweit die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Tagesordnungen und Diskussionen. Mit dem Referenten des CC-Abends, Herrn Prof. Dr. Thomas Bremer, Experte für Ökumenik, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, wird die religiöse Seite dieses Krieges, die eine komplexe ist, in den Blick gerückt.

Herr Professor Dr. Bremer studierte an den Universitäten München, Münster und Belgrad Slavistik, und Klassische Philologie und wurde 1990 in Münster mit einer Arbeit über die Serbisch-Orthodoxe Kirche promoviert. Nach seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde in Berlin von 1995 bis 1999 wurde er zum Professor an der Theologischen Fakultät in Münster berufen. Seit 2009 hat er die Schriftleitung der Zeitschrift „Katholische Revue“ inne und ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Una Sancta“. Außerdem war er von 2011 bis 2012 Fellow am Imre Kertész Kolleg an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. – Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die christlichen orthodoxen Kirchen Osteuropas. Er unterhält enge Kontakte zu den Vertretern der Orthodoxie in Osteuropa.

Sein Vortrag zum Thema „Der Ukraine-Krieg und die Kirchen“ hatte drei Schwerpunkte: • Die kirchliche Lage bis 2018, • das Kyjiwer Patronat sowie • die Situation der orthodoxen Kirchen seit dem 24. Februar 2022. Die religiöse Landschaft in der Ukraine war und ist sehr vielfältig: Bis zum Stichtag 01.01.2018, so stellt der Referent eingangs fest, habe es in der Ukraine insgesamt 57 religiöse Gemeinschaften, aufgeteilt in insgesamt 34.637 Gemeinden, gegeben: • Ukrainische Orthodoxe Kirche (unter dem Moskauer Patriarchat) – UOK • Ukrainische Orthodoxe Kirche – Kyjiwer Patriarchat – UOK – KP • Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche - UAOK • Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche - UGKK • Römisch-Katholische Kirche – RKK (im Westen, vor allem in der Nähe zu Polen) • Protestantische Konfessionen • Judentum • Islam (vor allem auf der Krim) • Andere Während im Zarenreich und in der Sowjetunion die UOK die einzige orthodoxe Kirche gewesen war, ging mit dem Zerfall der Sowjetunion der Zerfall des Monopols der Orthodoxen Kirche (UOK) einher. Andere Orthodoxien (40) haben das Kyjiwer Patriarchat (UOK-KP) nicht anerkannt.

Die neue Präsidentin und der scheidende Präsident dankten dem Referenten Prof. Dr. Thomas Bremer für seinen Vortrag. Ein besonderer Dank galt auch Herrn Prof. Dr. Rudolf Ullrich, der nach 12-jähriger erfolgreicher Mitarbeit aus dem CC-Vorstand ausscheidet. Allen Orthodoxien gemeinsam ist, dass sie den römischen Papst nicht anerkennen. Ihre Amtsträger sind Patriarchen, Bischöfe sowie Priester. Außerdem gibt es Mönche in Klöstern, jedoch keine Nonnen in Frauenklöstern. Die Ukrainische Orthodoxe Kirche steht unter dem Moskauer Patriarchat, die Ukrainische Kirche unter dem des Kyjiwer. Außerdem gibt es die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche. Zur Zarenzeit sowie zur Zeit der Sowjetunion existierte nur eine ukrainische Kirche, die dem Patriarchen von Moskau unterstand. Die seit Herbst 2018 auf Initiative des ukrainischen Patriarchen einsetzenden Bemühungen um die Gründung einer einzigen orthodoxen Kirche führte zum Konflikt zwischen Konstantinopel und Moskau. Im Januar 2019 erfolgte die Unabhängigkeit (Autokephalie) durch Konstantinopel, ohne Beteiligung der UOK, und führte zur Bildung der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche (UAOK), die vom damaligen Präsidenten Poroschenko unterstützt wurde. Mit der Wahl von Wolodymyr Selensky zum Präsidenten der Ukraine im Mai 2019 ist die politische Unterstützung entfallen.

Nach der russischen Invasion in die Ukraine am 24. Februar 2022 muss die orthodoxe Geistlichkeit Stellung beziehen. Onufry, Metropolit der Ukrainisch Orthodoxen Kirche sowie andererseits Kirill, Patriarch von Moskau, kommentieren die dem Kriegsbeginn nachfolgenden Ereignisse und vermeiden zunächst alle Schärfe gegenüber dem jeweiligen Gegner. Während Onufry von einer Katastrophe spricht und an den Kreml-Chef Putin appelliert, den brudermörderischen Krieg sofort zu beenden, ruft Kirill alle Konfliktparteien zur Vermeidung von Todesopfern unter Zivilisten auf und äußert ganz allgemein sein Bedauern über den Ausbruch des militärischen Konflikts. In seiner Predigt vom 27. Februar betont er allerdings schon die Gemeinsamkeit von Russland, Belarus sowie der Ukraine als Nachfolger der frühmittelalterlichen Rus. Damit übernimmt er die Sicht seines Präsidenten Putin. In ihrer Erklärung vom 28. Februar betont die Synode der Unabhängigen Orthodoxen Kirche der Ukraine die Unabhängigkeit und Integrität des ukrainischen Staates und bittet Kirill um Vermittlung bei der politischen Führung der Russischen Föderation. Am 4. März appelliert Metropolit Onufry direkt an Präsident Putin und bittet um Einstellung der Kampfhandlungen. Am 6. März ändert Kirill den Ton, bezieht eindeutig Stellung gegen vermeintliche schädliche, zersetzende Werte des Westens, die im Donbass aktiv seien und spricht von der metaphysischen Bedeutung des Krieges. Nach zehn Wochen Krieg wird deutlich, dass die russische Kirche die russische Legitimation des Krieges vollständig übernommen hat, während die ukrainischen Kirchen die sogenannte Militäraktion scharf verurteilen.

Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. • Grundsätzlich wurde dabei festgehalten, dass der Krieg aus strategisch-machtpolitischen sowie kulturellen Gründen von Putin begonnen worden sei und nicht aus religiösen. So sei auch keine Lösung mit Putin in Aussicht, weil er ideologisch festgelegt sei.Dessen Hinweis auf seinen Kampf gegen den Nationalsozialismus sei wirklichkeitsfremd. • Die Tatsache, dass Patriarch Kirill sich die Sicht seines Präsidenten zu eigen gemacht habe, erkläre sich aus seiner finanziellen Abhängigkeit von ihm und aus der diktatorischen Macht Putins. • Es wurde auf den ergebnislosen Versuch des Papstes hingewiesen, in diesem Konflikt zu vermitteln – ergebnislos, weil Patriarch Kirill den Krieg gegen die Ukraine als russischen Verteidigungskrieg darstelle und eine religiöse Sicht auf das Thema ‚Krieg und Frieden‘ gar nicht in Erwähnung ziehe. Zum Abschluss des Abends dankte Präsident Krause-Isermann Herrn Professor Dr. Bremer für seinen überaus informativen Vortrag, der den Blick für den religiös-kulturellen Aspekt des Krieges weit geöffnet habe. Das Auditorium dankte dem Referenten mit lang anhaltendem Beifall.

Hans-Arnold Loos und Dr. Renate Loos